Es heißt, die Vergangenheit sei ein fernes Land. Ich besuche sie selten, streife manchmal mit dem Blick darüber, ohne länger zu verweilen. „Alles hat seine Zeit“ – mehr als ein Leitsatz, für mich ein stilles Gelöbnis an das Leben selbst. Die Jahre lehren einen Demut gegenüber dem Wandel: Jede Episode unseres Daseins gleicht einer auslaufenden Welle, die irgendwann an Höhe verliert und still verebbt.
Ich habe gelernt, diesen Rhythmus zu achten, statt zu bedauern. In jeder Lebensphase spiegeln sich andere Interessen, andere Tätigkeiten, andere Menschen. Manche begleiten uns ein Stück, treten ins Bild und verschwinden wieder – das ist kein Verlust, kaum ein Drama. Bedeutung wandelt sich. Was einst wichtig war, wird leise, wenn die Umstände wechseln. Die Hände öffnen, die Erinnerungen freigeben – darin liegt erstaunliche Freiheit. Nichts muss bleiben, nur weil es einmal glanzvoll war.
Indem ich mir gestatte, Frieden zu schließen – auch mit Menschen, mit denen ich nicht mehr verbunden bin –, löst sich vieles aus dem gestrigen Schwergewicht. Die Relevanz ihrer Gesten schwindet in den Rückspiegeln der Gegenwart. Die Bilanz alter Rechnungen bleibt unausgefüllt, und vielleicht ist das ihr bester Zustand. Auch das Loslassen will geübt sein. Am Ende bleibt eine Erkenntnis: Alles hat seine Zeit. Ein innerliches Häkchen genügt, und der Tag geht weiter.
Gestern, zwischen den ungeduldigen Bremslichtern des Feierabends, holte ich mein iPhone hervor. Ein kurzer Impuls, ein zufälliger Griff zur Hipstamatic-App, ein hektisch komponiertes Foto. Mein erster Reflex: löschen. Doch dann kamen die Erinnerungen zurück, fast grell und gleichzeitig verhangen. Flashback 2011. Vierzehn Jahre zuvor, als mein erstes iPhone zum Fenster in eine neue, verspielte Welt wurde, in der Fotografieren noch ein Abenteuer war. Damals pflegte ich diese Bilder mit patinierten Filtern, versuchte die bescheidene Qualität zu kaschieren, gab den Fotos Raffinesse, die ihnen vielleicht gar nicht zustand.
Da waren Ergebnisse, die überraschten. Aufnahmen mit dem Charme des Zufälligen, kunstlos und doch berührend: Bilder, die nicht schön im klassischen Sinne waren – aber auf eigentümliche Weise Ausdruck besaßen. Sie zu teilen, das war damals fast revolutionär; Instagram war noch ein leeres Blatt, offen für kleine Experimente. Die Inspiration wuchs mit jedem Upload. Doch auch diese Zeiten gingen weiter, entwickelten sich – nicht immer zum Guten. Vielleicht liegt in diesem Blick auf das neue Foto ein Hauch Wehmut, als könne es direkt aus jenem Jahr stammen. Es ist keine Verklärung, kein Wunsch zurück. Die Zeit von 2011 war richtig. Jetzt ist alles anders, und das ist – im besten Sinne – in Ordnung.
Ein Flashback 2011 gleicht für mich keiner Sehnsucht nach dem Vergangenen. Vielmehr ist es die stille Freude über eine Erinnerung, die den Moment schmückt und ihn ganz leise um einen kleinen Glanz bereichert. Der Stil von damals? Muss heute nicht gelöscht werden. Manche Bilder dürfen bleiben – weil sie von etwas erzählen, das die Zeit überdauert.

